Gute Gründe, die Zwei-Meter-Regel abzuschaffen
In Baden-Württemberg gilt seit 1995 die Zwei-Meter-Regel. Grundlage war die Annahme, dass Radfahren auf Wegen mit weniger als zwei Metern zur Gefährdung von Wanderern oder zur Erosion der Wege führe.
2014 brachte die Deutsche Initiative Mountainbike (DIMB) gemeinsam mit dem ADFC sowie dem Badischen und dem Württembergischen Radsportverband eine Petition mit 58.210 Unterschriften gegen die umstrittene Regel ein. Ihr wurde nicht stattgegeben.Der Landtag hatte argumentiert, die Regelung sei »im Hinblick auf die
Beschränkung des Rechtes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, in Form der Freizeitbeschäftigung gegenüber dem Recht auf Leben und persönliche Unversehrtheit abgewogen und für angemessen beurteilt« worden.
Es sei möglich, eine ausreichende Anzahl von Wegen unter zwei Metern Breite auszuweisen. Voraussetzung: Die Forstbehörde stimmt zu. »Diese versprochene Ausweisung funktioniert in der Praxis jedoch nicht«, sagt Heiko Mittelstädt, der bei der DIMB am engagiertesten gegen die Zwei-Meter-Regel kämpft. Eine Sicht, die viele Tourismus-und Mountainbike-Experten teilen.
Mit den Ausnahmen von Baiersbronn, Albstadt und dem Schönbuch gibt’s fast nichts. Das Gros der Montainbiker fährt streng genommen illegal. Der Kampf gegen die Zwei-MeterRegel geht weiter.
Louis Schumann, der Geschäftsführer des Schwäbische-Alb-Tourismusverbandes (SAT), ist nicht nur als leidenschaftlicher Mountainbiker unglücklich mit der Zwei-Meter-Regel.Der oberste Touristiker eines Gebiets, das ein Viertel der Landes-Gute Gründe, die Regel abzuschaffen fläche umfasst, verbindet mit der Regelung
große Nachteile für die touristische Entwicklung. »Es gibt mittlerweile mehr aktive Mountainbiker als Fußballer in Deutschland«, zitiert Schumann eine Studie des »Mountainbike-Tourismusforums Deutschland«. Dieser Entwicklung kann sich ein Touristiker nicht verstellen. Jeder Mountainbiker, der in die Region kommt,
gibt hier auch Geld aus. Auf der SAT-Homepage findet man unter dem Stichwort Mountainbike gerade
mal neun Trail-Vorschläge aus Geislingen, Albstadt, dem Filstal und Bad Boll. »Das ist deutlich zu wenig, da geht leider wenig voran«, sagt Schumann, »dabei ist es nicht so, dass keine Strecken beantragt würden. Es scheitert in der Praxis aber an der Zwei-Meter-Regel. Mit der jetzigen Gesetzgebung schaffen wir’s nicht, Strecken auszuweisen.«
Negativer Nebeneffekt: Biker, die sich nicht auf ausgewiesenen Trails bewegen, »können wir nicht
lenken«, so Louis Schumann, »da fällt einiges an Wertschöpfung etwa für die Gastronomie weg«.
»Wir stehen am gleichen Punkt wie 2016, als ich als SAT Geschäftsführer angefangen habe«, sagt Schumann: Die Zwei-Meter-Regel steht scheinbar unverrückbar. Dabei hat Radfahren im Allgemeinen und Mountainbiken im Speziellen »extrem an Popularität gewonnen«, betont er. Für ihn ist klar, dass die Politik über kurz
oder lang reagieren muss – »weil’s die Bevölkerung so will«. Die Bevölkerung: die wachsende Community der Mountainbiker, quer durch alle Bevölkerungs und Altersschichten. Schumann glaubt, dass sich die Zwei-Meter-Regel nicht halten lässt: »Da wird irgendwann der Druck der Reifen zu groß.« Etwas Hoffnung macht ihm der grün-schwarze Koalitionsvertrag, in dem nicht mehr das Verbot betont wird, sondern das Miteinander und
die gegenseitige Rücksichtnahme.
In den Koalitionsvertrag setzt auch die DIMB einige Hoffnung: »Die Förderung des Radfahrens darf nicht am Waldrand enden«, fordert der gemeinnützige Verein.
Verbände, Vereine, Sport, Tourismus, Industrie, Fachzeitschriften und Radfahrer schlagen zur Umsetzung des Koalitionsvertrags ein »Konzept zur Überarbeitung des Landeswaldgesetzes« vor. Zentraler Baustein dafür ist die
Novellierung der Zwei-Meter-Regel auf Basis der Empfehlungen der »Bundesplattform Wald – Sport, Erholung,
Gesundheit«, die das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im September 2017 gegründet hat.
An dem DIMB-Papier ganz zentral mitgeschrieben hat neben Heiko Mittelstädt Claus Fleischer, der Geschäftsleiter von Bosch E-Bike-Systems in Reutlingen. Der 55-Jährige, der sich als »enthusiastischen Mountainbiker « bezeichnet, war begeistert, einen neuen Ton im Koalitionsvertrag herauszuhören, stellt aber ernüchtert fest: »Es ist ein Jahr nichts passiert.« Eine Erklärung für die neue Trägheit (»die Landesregierungen
haben es bisher immer ganz ausgesessen«) hat Fleischer schon: »Mit dem Thema kann man keine Wählerstimmen gewinnen.« Und dann ist da noch die Lobby der Waldbesitzer und Jäger, die nicht gerade als Gegenerin der Zwei-Meter-Regel gilt. »Wenn wir das Radfahren verstetigen wollen, dürfen wir es nicht in der
Natur verbieten«, sagt Claus Fleischer mit Blick auf »RadSTRATEGIE«, die konzeptionelle und strategische Grundlage für die Radverkehrsförderung von Verkehrsminister Hermann bis zum Jahr 2025. Als leuchtendes Beispiel dafür, wie sich Biker mit dem Forst arrangieren können, nennt Fleischer den Verein Mountainbike
Stuttgart.
»Wir setzen uns vor allem für den freien Zugang zum vorhandenen Waldwegenetz, sowie für eine
Legalisierung der bestehenden Trails ein«, schreibt der Verein, »ganz wichtig: wir wollen ein gutes und rücksichtsvolles Miteinander im Wald!« Basierend auf Respekt, Toleranz und gegenseitiger Rücksichtnahme
aller Naturnutzer. Gründungsmitglied Claus Fleischer hebt den Stuttgarter »Bikefrieden« hervor, der zwischen Radfahrern und Förstern ausgehandelt wurde: Der Forst baut keine Trails ab, ohne mit dem Verein Kontakt aufgenommen zu haben, um gemeinsam Alternativen abzuwägen. Im Gegenzug nimmt »Mountainbike Stuttgart« Einfluss darauf, dass keine neuen gebaut werden.
Open Trails – also generell offene Wege für Biker – will der Verein überall da, wo es keine Hotspots gibt, ansonsten werden Lenkungsmaßnahmen geplant. In diesem Punkt sieht Claus Fleischer das E-Mountainbike als Teil der Lösung, kann es doch durch seine größere Reichweite dazu beitragen, Hotspots zu entzerren. Neben Freiburg, Baiersbronn und dem Schönbuch gibt’s mit Albstadt einen weiteren Leuchtturm im Land. Stefan Fischer, Produktmanager Mountainbike bei der »Bikezone Albstadt« freut sich, dass er bald einen vierten Trail aufmachen kann. Der »Cube Rocks«, der Mitte September eröffnet wird, hat dreieinhalb Jahre Vorlauf. Stefan Fischer hat in der Planungszeit selber mitgeschafft – nicht nur vom Schreibtisch aus, sondern auch draußen mit der Hand am Arm. »Der neue Trail macht richtig Laune«, sagt der Bikezone-Touristiker.
In Zahlen: 920 Höhenmeter verteilt auf 33 Kilometern, davon zehn Kilometer Trails. »Man fährt nicht umsonst den Berg hoch«, sagt Stefan Fischer. Das Erfolgsgeheimnis der Albstädter: »Wir holen die Förster als Erste ins Boot, die haben einen guten Draht zu den Privatwaldbesitzern und Bauern.«
Sarah Reinhardt, die designierte Geschäftsführerin von »Mythos Schwäbische Alb«, dem Tourismusverband des
Landkreises, geht in ihrer Freizeit wandern und nicht mountainbiken. Es gebe nun mal die Zwei-Meter-Regel, sagt sie, »ich kann da erstmal nichts dran rütteln«. Die Notwendigkeit einer Mountainbike-Konzeption sei Mythos aber sehr wohl bewusst, »um uns rum haben das schon einige gemacht, und wir wollen nicht den
Anschluss verpassen.« Was sie unter der MTB-Konzeption versteht: »Geeignete Wege für Mountainbiker ausweisen.« Dafür müssten alle Seiten ins Boot: Biker, Wanderer und der Forst. »Wir wollen in der Region für alle präsent sein, uns also nicht für eine Seite entscheiden, sondern uns breit aufstellen.« (GEA)
Noch Fragen?
Haben Sie noch Fragen zur Zwei-Meter-Regel in Baden-Württemberg, dann melden Sie sich. Der Experte des Reutlinger Generalanzeigers hilft Ihnen gerne weiter.