Zeitreise zu einst streng geheimen Plätzen
Radfahren, wo früher die Panzer rollten: Der ehemalige Truppenübungsplatz Münsingen wurde nach Abzug der Bundeswehr im Jahr 2005 für Besucher geöffnet. Heute ist das unbesiedelte Gelände komplett autofrei und Herzstück des Biosphärengebiets Schwäbische Alb. Wer mehr über die Geschichte des Schießplatzes und drum herum wissen will, sollte mit Joachim Lenk auf Tour gehen: Der Reserveoffizier bietet militärhistorische Touren mit dem E-Bike an.
6.700 Hektar Fläche. Menschenleer. Und doch voller Geschichte(n), die niemand besser erzählen kann als Joachim Lenk: Der Hobby-Militärhistoriker kennt den ehemaligen Truppenübungsplatz bei Münsingen wie die Satteltasche seines Rads, mit dem er dort unterwegs ist. Er sieht das Gelände mit den Augen des Soldaten und durch die Brille des Zivilisten. In den 1980er-Jahren war er Zeitsoldat bei der Panzerbrigade 28 in Ulm, heute ist er Oberstleutnant der Reserve und als Presseoffizier im Einsatz. Nach seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr arbeitete Lenk als Tageszeitungsredakteur in Münsingen, damals noch Garnisonsstadt. Heute ist er als freier Journalist und Autor tätig. Sein Wissen teilt er nicht nur in mehreren Büchern, die er mittlerweile veröffentlicht hat, sondern auch bei Themenführungen, die er für die Touristik Information Münsingen anbietet. Neu im Programm sind seit diesem Jahr zwei militärhistorische E-Bike-Touren über den und am Rande des Truppenübungsplatzes. Für GEA-Abonnenten gibt’s eine exklusive Tour. Was die Teilnehmer erwartet? Ein Überblick über die TrÜP-Tour Ost.
Strecke.
Start der knapp 50 Kilometer langen Runde ist im Alten Lager, dem heutigen Albgut. Von dort geht es – zunächst außerhalb des Platzes – über Böttingen und Mehrstetten ins Buchtal an den Ortsrand von Magolsheim und weiter in den Alb-Donau-Kreis nach Breithülen, Ingstetten und Feldstetten. Der Rückweg führt quer durch den Schießplatz. Das Radfahren selbst ist angesichts der rund 25 Stopps fast schon Nebensache: Lenk kann zu Relikten aus Zeiten des Kaiserreichs, der Reichswehr, der Wehrmacht, des französischen Militärs und der Bundeswehr viele Fakten und Anekdoten aus rund 110 Jahren militärischer Nutzung erzählen.
Türme.
Testgelände.
Der TrÜP hat eine Ausdehnung von sechs mal elf Kilometern und wird von der 38 Kilometer langen Panzerringstraße umrundet. Sie wurde in sechs Abschnitten zwischen 1970 und 1989 gebaut – und so reizvoll es wäre: Für Radler, Wanderer und Skater ist sie tabu. Wer erwischt wird, zahlt ein dreistelliges Bußgeld. Der Grund: Die Straße ist an Fahrzeughersteller als Testgelände verpachtet.
Scharf geschossen.
Geschossen wurde nicht nur innerhalb, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch außerhalb des Sperrgebiets. Rundherum gab es mehr als zwei Dutzend Außenfeuerstellungen. Dort wurden Haubitzen positioniert. Die weit entfernten Zielpunkte waren nicht zu sehen, sondern wurden eingemessen. Maximale Reichweite: unfassbare 14 Kilometer. Genauigkeit: eher überschaubar, weshalb die Zielgebiete bis heute hochgradig kampfmittelbelastet und nicht zugänglich sind – selbst die Schäfer, die den Platz gut kennen, meiden sie.
"Untersuchungen haben ergeben, dass auf dem Gelände noch rund eine halbe Million scharfe Blindgänger liegen."
Außenfeuerstellungen – das bedeutete auch, dass über die Dächer bewohnter Ortschaften hinweg scharf geschossen wurde: »Heute unvorstellbar.«
Hochexplosiv.
1966 baute das französische Militär ein Munitionsdepot außerhalb des Platzes. Der Standort der Anlage – 24 Hektar mit 13 Bunkern à 129 Quadratmeter und neun Munitionslagerhäusern – »stand unter strengster Geheimhaltung«, berichtet Lenk. Heute gehören die »Mun-Depots« zu den Highlights der Tour. Bis zu 1.000 Tonnen Sprengstoff lagerten dort, angeliefert wurden sie mit Zügen, Lkw und Hubschraubern. Aus Unterlagen geht hervor, dass auch die Unterbringung von Atomsprengköpfen vorgesehen war – ob es dazu kam, ist unklar. Bis 1992 wurde scharfe Munition gelagert, ab 2005 wurden die Bunker an Privatleute vermietet. Seit diesem Jahr gehört das Gelände Hans-Gerhard Fink, Eigentümer der Whiskydestillerie Finch.
Hochprozentig.
Wo früher Munition lagerte, stapeln sich heute edle Fässer. »Ich bin Landwirt und habe vor 23 Jahren eine Schnapsidee in die Realität umgesetzt.« So beginnt die Erfolgsgeschichte von Hans-Gerhard Fink, der aus Rohstoffen, die er auf seinen eigenen Feldern anbaut, preisgekrönte Whiskys macht. Reifen dürfen sie in edlen Fässern aus 280 bis 350 Jahre alten Eichen – jedes davon ist selbst eine kleine Kostbarkeit. Fink investiert drei- bis vierstellige Beträge in die Fässer, in denen vorher Rotwein, Sherry oder Bourbon reifte. Sie verleihen dem Whisky, der fünf bis zwölf Jahre darin gelagert wird, erst seinen unverwechselbaren Charakter. Auf Anfrage zeigt Fink Gästen sein Allerheiligstes und lässt sie kosten – ein Extra, das auch Teil der GEA-Leser-Tour sein wird. Das ehemalige Mun-Depot soll künftig aber noch mehr sein als ein »bombensicheres Whiskylager«: Fink schwebt ein Erlebnisgelände mit Wohnmobilstellplatz vor. Luftlinie nur wenige Hundert Meter entfernt entsteht in Breithülen seine neue Destillerie mit gläserner Produktion, die in einigen Monaten eröffnet wird. Fink baut dafür die alte Raufutterscheune des Remonte-Depots um. Whisky shoppen kann man trotzdem schon – und zwar am Regiomaten, der auch alkoholfreie Getränke ausspuckt.
Remontedepot.
Soldaten brauchen Pferde: Parallel zur Kaserne in Münsingen wurden Ende des 19. Jahrhunderts Pläne für das Königlich Württembergische Remontedepot in Breithülen gemacht. Remonte? Das französische Wort bedeutet »Wiederausrüstung der Kavallerie mit frischen Pferden«. Die Nähe zum Gestüt in Marbach – es gehörte ebenfalls dem König – ist ideal. Viele der Fohlen, die in Breithülen zu Armeepferden ausgebildet wurden – zu Spitzenzeiten rund 250 im Jahr – stammten von dort. Heute werden in den ehemaligen Stallungen glamouröse Feste gefeiert – wer hier heiraten oder eine Firmenparty schmeißen will, hat meistens sogar so viel Kleingeld, dass er mal eben noch Stars einfliegen oder ein Riesenrad für einen Tag aufstellen lassen kann. Das Anwesen gehört den Brüdern Schmutz. Thorsten kümmert sich um die Events, Steffen kennen viele vom Fernsehen: Er verkauft im Shopping-Fernsehen höchst erfolgreich Schuhe, die seine Firma Vitaform mit Sitz in Breithülen herstellt.
Einkehr.
Zu den 13 Schäfereibetrieben, die den Platz mit ihren insgesamt rund 20.000 Tieren zählenden Herden beweiden, gehört die Schäferei Allgaier in Ennabeuren. Am Schafstall unweit des Turms Heroldstatt hat die Familie ihren Imbiss eingerichtet: In »Regina’s Futterkiste« serviert die Chefin Klassisches und Besonderes. Unbedingt probieren: den Lammburger mit Fleisch von den eigenen Tieren. Offen ist von Mai bis Oktober sonn- und feiertags zwischen 14 und 18 Uhr, für Gruppen zudem auf Anfrage.
Noch Fragen?
Haben Sie noch Fragen zur militärhistorischen Tour durch den ehemaligen Truppenübungsplatz, dann melden Sie sich. Die Experten des Reutlinger Generalanzeigers helfen Ihnen gerne weiter.
Andres Fink
Lokalredakteur Metzingen I Reutlinger General-Anzeiger
Reutlinger General-Anzeiger Verlags-GmbH & Co. KG
Christophstraße 6
72555 Metzingen
Marion Schrade
Lokalredakteurin Münsingen I Reutlinger General-Anzeiger
Reutlinger General-Anzeiger Verlags-GmbH & Co. KG
Haupstraße 25
72525 Münsingen